DKJS EXPERTEN-INTERVIEW

07.12.2022

mit den Jugendforschern und Autoren der Trendstudie „Jugend in Deutschland” Simon Schnetzer und Prof. Dr. Klaus Hurrelmann

Mit welchem Gefühl blicken junge Menschen auf die letzten zweieinhalb Jahre zurück?

Schnetzer / Hurrelmann: Der Jugend wurde in der Pandemie die überwiegend sorglose Zeit ihres Lebens genommen. Nichts konnte einfach mal ausprobiert werden. Deswegen gibt es in Teilen Nachholbedarf für Reisen, Sport und Hobbies. Es ist nicht wiedergutzumachen, wie alle in Bildung, Freizeit, Engagement, Karriere und vielem mehr ausgebremst wurden.
 
Zurückblickend war das Leben wir eine einzige Dauer-Online-Soap. Das wahre Leben zum Anfassen blieb draußen. Daher sind Jugendliche, Auszubildende oder Studierende und Young Professionals hoch empfindlich, wenn man sie auf die letzten Jahre anspricht. Es war und ist eine sehr hohe psychische Belastung.

Was hat es mit Jugendlichen gemacht, dass sie sich von politischen Entscheider:innen nicht gehört und beteiligt gefühlt haben?

Hurrelmann / Schnetzer: Die „Fridays for Future“-Generation waren es ja leider schon gewohnt, dass ihnen aus politischen Leitungsebenen nicht zugehört wird. Doch das Ausmaß hatte keiner erwartet. Zu dem Freiheitsentzug kam der Meinungsentzug hinzu. Und das macht was mit einer ganzen Generation, die so politisch ist wie schon lange keine mehr seit den wilden 1968ern oder der Anti-Atom-Bewegung in den 1980ern.

Wie wichtig ist Beteiligung und Mitbestimmung für junge Menschen gerade im Kontext der Dauerkrisenerfahrung?

Schnetzer / Hurrelmann: Wir wissen es, dass jede Krise eine Chance in sich birgt. Und das gegenüber der Schweiz eher phlegmatische Deutschland könnte nun in der Demokratie und Mitwirkung ganz neu durchstarten. Das wäre der Weg vom Opferlamm zum Auferstandenen. Diese Zuversicht in den gestärkten Instrumenten unserer Demokratie den Jungen zu bieten, wäre das Beste, was Deutschland passieren könnte.

Worauf kommt es aus Ihrer Sicht und Erfahrung an, wenn wir junge Menschen stärker beteiligen möchten?

Schnetzer / Hurrelmann: Wir haben schon einige Formate vorgestellt und ich liebe es, wenn mir junge Menschen von ihren Aktionen erzählen. Doch da geht noch viel mehr: Wenn wir uns endlich von dem Trauma der 1930er Jahre verabschieden und dem Volk wieder zutrauen, gut nach sich zu schauen und in die Zukunft steuern zu können. Die Bildungspolitik zielte doch daraufhin. Und hier und da haben wir in Beteiligungsformaten – egal ob auf kommunaler Ebene oder mit landesweiten Petitionen – schon beachtliche Veränderungen erzielt. Das ernst zu nehmen und zu systematisieren, wäre beispielsweise Aufgabe einer Enquete-Kommission im Deutschen Bundestag.

Wie schlimm ist die psychische Belastung junger Menschen? Wie hat sie sich im Laufe der Pandemie-Wellen / Krise verändert?

Schnetzer / Hurrelmann: Die Belastung kam im Herbst des ersten Pandemie-Jahres, als klar war, dass das nicht nur ein einziges Frühjahr des Stillstands war. Und sie sank erst im Sommer 2022, wo die Politik so tat, als sei es vorbei. Freiheitsrechtlich war das korrekt, doch die Jungen haben sehr viele Fragezeichen. Das Vertrauen in die Obrigkeit, nach ihrer psychischen Gesundheit zu schauen, ist nahe dem Nullpunkt. Vom Schock über das Erkennen, dass der eigene Lebensweg gar nicht oder viel später umsetzbar sein wird, bis hin zur lähmenden Verzweiflung, dass alles nix ist, waren es zwei sehr harte Jahre. Für uns alle, ja, aber vor allem für die Kinder und jungen Leute.

Was können wir tun, damit junge Menschen, gerade die besonders betroffenen, wieder aus diesem Loch oder der Abwärtsspirale herauskommen?

Hurrelmann / Schnetzer: Wir hecheln ja weiter, anstatt mal uns zurückzulehnen und zu schauen: Was haben wir daraus gelernt? Wie könnte es alternativ weiter gehen? Das vermisse ich zumeist in der aktuellen Debatte. Und da sind alle gefragt, gleich welchen Geschlechts: Die Philosophen, Soziologen, Psychologen, Klimaforscher, KI-Experten, Sozialpädagogen, Lehrer und zuvorderst unsere politisch Verantwortlichen. Ich bin viel im Land unterwegs. Was mir Zuversicht gibt, sind die Orte, wo die jungen Menschen ernst genommen und einbezogen werden. Wir Deutsche sind Meister im Meckern. Doch es gibt so viel zu feiern! Wir machen so viel auch richtig! Die Digitalisierung voranzutreiben und sinnvolle, passgenaue Modelle und Methoden für Homeoffice-Arbeit zu bieten, ist auch ein wichtiger Schritt. Im Miteinander der Generationen können wir es gemeinsam schaffen.
 
 

Zu den Autoren

Simon Schnetzer wurde 1979 in Kempten im Allgäu geboren und studierte in Konstanz und Santander (Spanien). Der Diplom-Volkswirt arbeitete für die Vereinten Nationen in Genf und London, sowie in der Entwicklungszusammenarbeit in Berlin und Nairobi. Im Jahr 2009 hat er seinen „Traumjob“ als UNO-Nachhaltigkeitsbeauftragter für Kakao an den Nagel gehängt.

Inzwischen ist er Autor der Studien Jugend in Deutschland, Junge Österreicher:innen und Junge Schweizer:innen. Er reist seit vielen Jahren mit dem Fahrrad und Zukunftsgestalter-Workshops durch die Lande, um junge Menschen zu beteiligen und mit Arbeitgebern die Arbeitswelt von morgen zu gestalten. Mit Innovationsformaten wie „Die Zukunftsgestalter:innen“ und dem Online-Coaching für Arbeitgeber zu Mitarbeiterbindung zeigt er Wege für mehr Beteiligung, Spaß und Generationenmiteinander bei der Arbeit auf. In seiner Heimat Kempten im Allgäu betreibt er die preisgekrönte Gründervilla – Coworkingspace und Innovationsnetzwerk – als Ort für Menschen mit Ideen und Tatendrang.

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Prof. Dr. Dr. h.c. Klaus Hurrelmann wurde 1944 geboren und studierte in Berkeley, Münster und Freiburg. Er ist Sozialwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Jugend-, Bildungs- und Gesundheitsforschung. Er wurde 1975 zum Professor an der Universität Essen ernannt und wechselte 1979 an die Universität Bielefeld. Seit dem Jahr 2009 arbeitet er als Senior Professor of Public Health and Education an der Hertie School of Governance in Berlin. Er ist Senior Expert am Berliner Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS).

Er leitete mehrere Familien-, Kinder- und Jugendstudien und gehört seit dem Jahr 2002 dem Leitungsteam der Shell Jugendstudien an. Er hat zahlreiche Lehr- und Handbücher in deutscher und englischer Sprache veröffentlicht. Mit dem Journalisten Erik Albrecht hat er 2020 das Buch „Generation Greta“ geschrieben, das 2021 in englischer Adaption unter dem Titel „Gen Z Between Climate Crisis and Coronavirus Pandemic“ erschienen ist.

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Jugend in Deutschland

Eine Sonderauswertung für das Zukunftspakt für Bewegung, Kultur und Gesundheit

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