Repräsentative Kinder- und Jugendbeteiligung in der Kommune

26.05.2023

Kinderhand, die Modellstadt gestaltet

© Shutterstock/So happy 59

Mitreden und mitgestalten, eigene Ideen einbringen können – diese Möglichkeiten möchten auch Kinder und Jugendliche haben, wenn es um ihre Bedarfe geht. Durch repräsentative Beteiligungsformen in der Kommune lernen sie demokratische Abläufe kennen und erwerben soziale Kompetenzen. Gleichzeitig stärken sie ihr Selbstbewusstsein, wenn sie als Expert:innen in eigener Sache wahrgenommen werden. Durch diese frühen positiven Erfahrungen wird auch ein Grundstein für zukünftiges gesellschaftliches Engagement von jungen Menschen gelegt.

Was sind repräsentative Formen der Kinder- und Jugendbeteiligung?

Kommunen sollen bzw. müssen Kinder und Jugendliche an Entscheidungen beteiligen, von denen sie betroffen sind. Diese Beteiligungsrechte sind in den Gemeindeordnungen (Kommunalverfassungen) bzw. Landkreisordnungen von zwölf Bundesländern festgeschrieben (einen beispielhaften Überblick bietet die Publikation Beteiligungsrechte von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (PDF-Dokument)).

Dabei können Kinder und Jugendliche anhand verschiedener Formate und Methoden beteiligt werden. Die Auswahl in der Kommune fällt häufig auf repräsentative Formate, die den Gremien der Kommunalpolitik nachempfunden sind.

Einen Überblick über wichtige Elemente der bundesweiten Landschaft im Bereich Kinder- und Jugendbeteiligung bietet die Kinder- und jugendpolitische Landkarte.

Kinder- und Jugendparlamente

Eine weitverbreitete Form der repräsentativen Beteiligung stellen Kinder- und Jugendparlamente dar. Dabei werden Kinder und Jugendliche von Gleichaltrigen für einen begrenzten Zeitraum als Vertreter:innen gewählt. Diese Parlamente sind also Interessenvertretungen von jungen Menschen selbst. Sie zeichnen sich durch Wahlen, geregelte Abhaltung von Sitzungen, Formalien und eine rechtliche Anbindung an die kommunalrechtlichen Strukturen aus.

Die Bezeichnungen für diese institutionalisierte Form der Beteiligung unterscheiden sich von Kommune zu Kommune. So ist in den Kommunalverfassungen der einzelnen Bundesländer oft auch von einem Kinder- und Jugendgemeinderat oder allgemein von einer Jugendvertretung die Rede.

Die Initiative „Starke Kinder- und Jugendparlamente“ hat aus den Ergebnissen einer breit angelegten Studie zu repräsentativen Beteiligungsformaten für junge Menschen auf kommunaler Ebene 20 Qualitätsmerkmale für starke Kinder- und Jugendparlamente abgeleitet.

Warum repräsentative Beteiligung?

Durch repräsentative Beteiligung können Kinder und Jugendliche Selbstwirksamkeit erleben, indem sie erfahren: „Ich sage etwas. – Mir wird zugehört. – Ich kann dadurch etwas bewirken!“ Das heißt natürlich nicht, dass alle Vorschläge umgesetzt werden – doch auch das Erlebnis des Scheiterns ist wichtig, um realistische Vorstellungen von demokratischen Abläufen zu bekommen. Entscheidend dabei ist, dass Prozesse transparent gemacht werden. Junge Menschen sollen merken, dass sie mit ihrer Meinung und als Person ernst genommen werden.

Ein weiterer guter Grund für die repräsentative Beteiligung von Kindern und Jugendlichen ist, dass dadurch die Interessen vieler junger Menschen vertreten werden und nicht nur die einzelner Gruppierungen, die sich besonders engagieren. Hier gilt es außerdem, unterschiedliche Kommunikationswege zu finden, um wirklich alle Kinder und Jugendlichen zu erreichen – ob sie es annehmen oder nicht. Denn Kinder und Jugendliche sind nicht dazu verpflichtet, sich zu beteiligen. Umso stärker sind die Erwachsenen in der Pflicht, die Bedarfe und Wünsche junger Menschen zu berücksichtigen und ihnen existierende Möglichkeiten der Beteiligung aufzuzeigen.

Gelebte Demokratie

Wie kann repräsentative Kinder- und Jugendbeteiligung in der Praxis aussehen? Und welche Herausforderungen und Chancen gibt es dabei?

Das Jugendparlament am Beispiel der Stadt Leipzig

Ein anschauliches Praxisbeispiel ist das Jugendparlament der Stadt Leipzig, das seit dem Jahr 2015 existiert. Als Interessenvertretung aller Jugendlichen von 14 bis 21 Jahren in Leipzig vertritt es deren Belange gegenüber dem Stadtrat und der Stadtverwaltung. Das aus 20 gewählten Mitgliedern bestehende Jugendparlament ist darüber hinaus auch Ansprechpartner für die Anliegen junger Menschen außerhalb dieser Altersgrenzen, die ihren Lebensmittelpunkt in Leipzig sehen und sich einbringen möchten.

Wie ist das Jugendparlament in Leipzig aufgebaut?

Im Wesentlichen hat das Jugendparlament fünf verschiedene Bestandteile:

1. Parlament

2. Sprecher:innen-Kreis

3. Jugendbeirat

4. Arbeitsgruppen

5. Geschäftsstelle und pädagogische Begleitung

Der Jugendbeirat besteht aus acht Mitgliedern des Jugendparlamentes und je einem Vertreter pro Stadtratsfraktion. Über ihn hat das Jugendparlament Rede- und Antragsrecht im Leipziger Stadtrat. Ein von den Mitgliedern gewählter Sprecher:innen-Kreis übernimmt die Leitung der öffentlichen Sitzungen des Gremiums sowie anfallende organisatorische Aufgaben. In den Arbeitsgruppen, die sich aus Mitgliedern des Jugendparlamentes und interessierten Jugendlichen zusammensetzen, findet schwerpunktmäßig die thematische Arbeit statt. Die Geschäftsstelle im Büro für Ratsangelegenheiten der Stadt Leipzig unterstützt das Jugendparlament bei verwaltungsinternen Arbeitsschritten und nimmt zudem eine pädagogische Begleitung wahr.

Wie werden die Jugendlichen (insbesondere die Arbeitsgruppen) begleitet?

In den Arbeitsgruppen können die Jugendlichen u. a. ihre Ideen besprechen und interessengeleitet Angebote, z. B. unterschiedliche Formate entwickeln.

Pädagogische Mitarbeiter:innen nehmen an den Arbeitsgruppen teil und unterstützen die Jugendlichen in der Vorbereitung und bei organisatorischen Fragen (z. B. bei Verträgen). Eine weitere Aufgabe der pädagogischen Begleitung ist es, den Jugendlichen bei der Entwicklung von Angeboten zur Seite zu stehen, die möglichst gut zu ihnen passen. Dies ist häufig ein Balanceakt zwischen Selbstbestimmung und Mitbestimmung: Die erwachsenen Begleitpersonen sollten die Jugendlichen nur in der Form und in dem Maße unterstützen, wie diese es wollen.

Wie findet man Kandidat:innen und wie läuft die Wahl ab?

Bei der Suche nach Kandidat:innen spielt Multiplikator:innenarbeit eine wichtige Rolle: darüber soll eine große Anzahl an Akteur:innen erreicht werden, um Jugendliche für die Bewerbung zu begeistern. In Leipzig funktioniert diese Methode sehr gut. Es gibt dort keine Probleme, Kandidat:innen zu finden. Außerdem wurde das Format „Schultour“ ins Leben gerufen: dabei schreiben die Jugendlichen einen Brief und bieten den Schülervertreter:innen an, in den Schulen vorbeizukommen, um das Jugendparlament vorzustellen.

An der Online-Wahl zum Jugendparlament, die eine Woche lang stattfindet, können sich alle jungen Menschen zwischen 14 und 21 Jahren in Leipzig beteiligen. Die Diversität (z. B. Bildungsgrad, regionale Verteilung etc.) der Mitglieder des Jugendparlaments ist dadurch nicht steuerbar – wer Teil des Jugendparlaments sein wird, ist also eine Entscheidung der Wähler:innen. In Leipzig liegt die Wahlbeteiligung bei unter 10 Prozent. Sie könnte möglicherweise erhöht werden, wenn man beispielsweise die Schulen vor Ort mit einbeziehen würde.

Wie gut gelingt die Kommunikation zwischen den Jugendlichen und dem Stadtrat?

Zu Beginn der Entstehung des Jugendparlaments gab es zwar viel Zuspruch aus dem Stadtrat, jedoch nicht viel Wissen darüber, wie die Jugendlichen einbezogen werden können.

Die jungen Menschen mussten sich viel Respekt erarbeiten. Es braucht Zeit, damit die Erwachsenen verstehen, wie sie mit den Jugendlichen umgehen sollen. Und es erfordert Konsequenz von allen Beteiligten, damit nicht nur die Jugendlichen zu den Fraktionen gehen, sondern auch umgekehrt die Fraktionen zu den Jugendlichen kommen. Hier müssen also Prozesse in Bewegung gesetzt werden. Mittlerweile finden Kommunikation und Beteiligung auf Augenhöhe statt.

Warum lohnen sich Jugendparlamente?

Jugendparlamente sind wichtige Lern- und Erfahrungsorte, in denen junge Menschen u. a. lernen, kommunalpolitisch aktiv zu werden und ihre rhetorischen Fähigkeiten weiterzuentwickeln. Zudem engagieren sich viele Jugendliche auch nach ihrer Zeit im Jugendparlament.

Weitere Informationen gibt es hier: Das Jugendparlament der Stadt Leipzig – Eine Kurzanleitung (PDF-Dokument)

 

Kinderbürgermeister:innen der Stadt Bramsche

Ein weiteres spannendes Praxisbeispiel repräsentativer Kinder- und Jugendbeteiligung ist das Projekt „Kinderbürgermeister*innen in Bramsche“, das es seit dem Jahr 2014 gibt. Jeden Sommer findet dazu eine Wahl statt, deren Prozedere genauso wie bei einer Erwachsenenwahl abläuft. Zunächst werben Kandidat:innen mit einem Wahlprogramm für sich, in einem extra eingerichteten Wahllokal werden dann die Stimmen abgegeben. Das Hauptziel des Projekts ist es, die Kinder frühzeitig an demokratische Strukturen und Prozesse heranzuführen.

Kinderbürgermeister:innen

Die Kinderbürgermeister:innen in Bramsche sind zwischen 6 und 12 Jahre alt, arbeiten im Team bis zu vier Personen oder auch alleine und haben ein eigenes Büro. Sie werden in den Ferien gewählt und treffen sich monatlich zur Besprechung im Rathaus oder draußen. Dabei werden sie von Pädagog:innen betreut.

Dieser Videobericht gibt einen lebhaften Einblick in die Arbeit der Kinderbürgermeister:innen.

 

„Wenn Kinder bzw. auch andere Leute Wünsche haben, können sie damit zu uns kommen. Wir organisieren dann meistens Fußballturniere oder Indian-Dutch-Turniere. Aber auch wenn sie Probleme haben, dann können sie auch zu uns kommen. Und das Ganze kann eben anonym laufen, über einen Briefkasten, den wir dafür eingerichtet haben.“
Leonard und Ole, beide 12 Jahre alt, Mitglieder des Kinderbürgermeister:innen-Teams in Bramsche

Welche Ziele hat das Projekt?

Den Kinderbürgermeister:innen soll anhand ihres Amtes frühzeitig das Erlernen demokratischer Strukturen ermöglicht werden. So werden die Kinder beispielsweise auf ihre mögliche nächste Station im Jugendparlament vorbereitet. Zudem bietet das Projekt eine altersgerechte Form der Partizipation, wodurch einer Überforderung der Kinder vorgebeugt wird. Nicht zuletzt sollen die Kinderbürgermeister:innen als junge Menschen und Experten für ihre eigene Lebenswelt ernst genommen werden.

Wie ist das Projekt entstanden?

Entstanden ist das Projekt innerhalb der Ferienbetreuung (veranstaltet von der Stadtjugendhilfe Bramsche) erstmals im Jahr 2013, als Kinder zur Programmgestaltung nach ihren Interessen gefragt wurden. Daraufhin wurde zunächst ein Kinderrat entwickelt, dann gab es einen Sprecher. Schließlich hat sich das Projekt entwickelt und ist nun zu einem festen Programmpunkt der Ferienbetreuung geworden. Die Relevanz der Kinderbürgermeister:innen für Bramsche wird schon bei der Wahl deutlich: Dann ist auch das Jugendparlament und der erwachsene, sehr engagierte Bürgermeister Heiner Pahlmann vor Ort.

Was haben die Kinderbürgermeister:innen bisher erreicht?

Die Kinderbürgermeister:innen konnten schon einige Erfolge verbuchen: Von der Einrichtung einer Bedarfsampel an einer Grundschule und der Aufwertung von Spielplätzen über eine Stadtkarte mit wichtigen Spots für Kinder bis hin zum eigenen iPad als Antwort auf die Nachfrage nach der Digitalisierung von Anträgen. Viele Ergebnisse ihrer Arbeit wurden groß gefeiert, was die Bedeutung dieses Amtes für alle Kinder in Bramsche verdeutlicht.

Erkenntnisse und Eindrücke aus der Praxis

Eine pädagogische Betreuung des Projekts ist von besonderer Bedeutung: „Die jungen Menschen sollten nicht überfordert werden und dadurch den Spaß verlieren. Deshalb brauchen sie passende Ansprechpersonen, die auch eine Schnittstelle zu Politik und Verwaltung bilden. Außerdem sorgen sie für einen Informationsaustausch auf Augenhöhe und falls gewünscht, beraten sie die Kinder und Jugendlichen. So wird für die notwendige Struktur gesorgt", betont die zuständige Stadtjugendpflegerin Stefanie Uhlenkamp. Insgesamt werden die Kinderbürgermeister:innen jedoch sehr ernst genommen, auch von den Erwachsenen.

Es ist sichtbar, dass die Beteiligung der Kinder die Kommune bereichert: Sie führt zu einer hohen Identifikation der Kinder mit dem Ort, denn die künftigen Erwachsenen sehen die Ergebnisse ihrer eigenen Arbeit im Stadtbild.

Weitere Informationen zu den Kinderbürgermeister:innen finden Sie auf der Website der Stadt Bramsche.

Tauschen Sie sich mit anderen kommunalen Akteur:innen aus!

„Repräsentative Kinder- und Jugendbeteiligung in der Kommune“ – so lautete auch das Thema der ersten Folge der Veranstaltungsreihe „Austausch geht raus.kommunal“ vom 16.05.2023.

Das vierteilige Format beschäftigt sich mit Aspekten von kommunaler Kinder- und Jugendbeteiligung in der Praxis. Hier haben Sie Gelegenheit, sich mit anderen Akteur:innen kommunaler Einrichtungen und Verwaltungen zu Praxiserfahrungen auszutauschen.

Weitere Termine finden im Juni, September und Oktober statt.

Eine Veranstaltungsübersicht sowie die Aufzeichnung der ersten Folge finden Sie hier:

 

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