Beteiligung ohne Barrieren: Wie gelingt inklusive Kinder- und Jugendbeteiligung?

26.04.2023

Viele bunte Handabdrücke auf einer Wand

© Shutterstock/Yakov Oskanov

Mit dem Zukunftspaket sollen alle Kinder und Jugendlichen in Deutschland erreicht werden – egal welche Voraussetzungen sie mitbringen. Doch wie organisiert man inklusive Beteiligungsvorhaben? Und wie können Projekte niederschwellig, barrierefrei und inklusiv gestaltet werden?

Inklusion – was bedeutet das eigentlich?

Inklusion ist ein Menschenrecht, welches in der UN-Behindertenrechtskonvention festgeschrieben ist und seit 2009 auch in Deutschland gilt. Es besagt, dass alle Menschen in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens das gleiche und volle Recht haben auf individuelle Entwicklung und uneingeschränkte Teilhabe. Demnach sollen Regeln und Strukturen gemeinsam so gestaltet sein, dass sie für alle passen. Es gibt also kein System, in das Menschen hineinpassen müssen, sondern Systeme müssen so gestaltet werden, dass sie für alle passend sind.

Enger und weiter Inklusionsbegriff

Im Fachdiskurs unterscheidet man den engen und den weiten Inklusionsbegriff. Der enge Inklusionsbegriff bezieht sich im deutschsprachigen Raum häufig auf die Bedarfe oder die Rechte von Menschen mit Behinderung. Der weite Inklusionsbegriff bezieht andere Perspektiven mit ein. So definiert beispielsweise die Aktion Mensch den weiten Inklusionsbegriff wie folgt: „Jeder Mensch soll sich gleichberechtigt und unabhängig von Behinderung, sozialer Herkunft, Geschlecht, Alter, sexueller Orientierung oder sonstiger individueller Merkmale und Fähigkeiten an allen gesellschaftlichen Prozessen beteiligen können.“

„Inklusive Angebote sind ein Mehrwert für alle. Sobald wir Angebote inklusiv planen und umsetzen, sprechen wir eine Zielgruppe an, die viel diverser ist. Und wir kriegen Projekte, die wirksamer sind, weil sie die Realität von mehr Menschen widerspiegeln.“
Lena Groh-Trautmann, Servicestelle Jugendbeteiligung e. V.

Was braucht inklusive Beteiligung?

Um inklusive Beteiligung zu ermöglichen, müssen mehrere Voraussetzungen erfüllt sein. Ein zentraler Aspekt ist die eigene Haltung: Akteur:innen der Kinder- und Jugendarbeit sollten die Haltung vertreten, dass Inklusion kein „Nice-to-have“ ist, sondern ein grundlegendes Menschenrecht und wir alle gemeinsam dafür einstehen müssen, dieses Recht zu verwirklichen. Ein weiterer relevanter Faktor ist die Kompetenzorientierung, das heißt, sich auf Stärken und nicht auf Defizite zu konzentrieren. Zudem muss das bisherige Projektmanagement aus einer inklusiven Perspektive neu gedacht werden: Dinge müssen so umgestaltet werden, dass alle Menschen gut teilhaben können. Zu guter Letzt braucht es Strukturen und eine Finanzierung, die inklusive Beteiligung ermöglichen.

Wie organisiert man gemeinsam inklusive Beteiligung?

1. Inklusives Projektmanagement

Um Projekte inklusiv zu gestalten, müssen wir bisherige Diagramme, Zyklen und Prozesse aus anderer Perspektive durchleuchten: Ist das, was wir tun, passend und sinnvoll – und entspricht es den vielfältigen Bedarfen der Teilnehmer:innen? Eine Antwort auf diese Frage setzt voraus, dass wir unsere Zielgruppe wirklich kennen und ihre Bedürfnisse verstehen. Bedarfe sollten dabei nicht nur abgefragt, sondern konkret eingeplant werden: Wir sollten also eine realistische Rückmeldung geben, was angeboten werden kann, was nicht umsetzbar ist und welche Alternativen es in diesem Fall gibt.
 

2. Räumliche Barrierefreiheit

Ein essenzieller Bestandteil des Projektmanagements ist die räumliche Barrierefreiheit. Hierbei ist zunächst die Anreise zu beachten: Ist der Ort für alle gut erreichbar? Funktioniert beispielsweise die Anreise mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, gibt es auch die Möglichkeit, mit einem Auto anzureisen? Als nächstes stellt sich die Frage nach der Ausgestaltung des Ortes. Dabei spielt der Sicherheitsaspekt eine wichtige Rolle: Sind z. B. ein Blindenleitsystem oder visuelle Alarme vorhanden? Zudem sollte man darauf achten, ob der Ort in Bezug auf Licht- und akustische Verhältnisse für alle gut funktioniert. Gibt es z. B.  eine Induktionsschleife, die   Menschen mit Hörgeräten oder Cochlea-Implantaten einen guten und klaren Ton ermöglicht? Ist ein Raum vorhanden, in den man sich zurückziehen kann, wenn man von Licht und Audio überfordert ist? Insgesamt gibt es eine Vielzahl an Dingen, die im Voraus gründlich durchdacht werden müssen. Eine Checkliste zu barrierefreien Veranstaltungen (PDF-Dokument) stellt z. B. die Bundesfachstelle Barrierefreiheit zur Verfügung. Auf der Website https://ramp-up.me gibt es Tipps rund um barrierefreie Veranstaltungen.

 

3. Digitale Barrierefreiheit

Das Internet ist für das Projektmanagement längst zu einem unverzichtbaren Ort geworden: Man kann hier auf Projekte aufmerksam machen und sie online durchführen, Teilnehmer:innen gewinnen und mit ihnen in Kontakt bleiben sowie Bedarfe abfragen etc. Doch entgegen der ersten intuitiven Annahme sind digitale Räume nicht automatisch für alle Menschen zugänglich. Wie können wir diese Räume also so gestalten, dass sie für alle nutzbar sind? Hier einige Vorschläge und Denkanstöße für die Praxis:

  • Auslesbare Webseiten: Webseiten sollten z. B. mit einem Stream-Viewer gut lesbar sein, sodass auch Menschen mit Sehbehinderung sie nutzen können.
  • Nicht alle Menschen benutzen eine Maus. Funktioniert die App/Webseite/sonstiges Programm z. B. auch über Augensteuerung? Dazu gibt es zum Beispiel die Web Content Accessibility Guidelines, WCAG.
  • Projekte direkt im digitalen Raum umsetzen, z. B. via digitaler Konferenz oder Austauschprogramm.
  • Bei Tools für Videokonferenzen prüfen: Kann ich Untertitel einstellen? Gibt es die Möglichkeit, eine Dolmetschung einzuschalten? 
  • Darauf achten, dass Videos Untertitel haben – und falls möglich Gebärdensprache mit einbinden.

4. Selbstbestimmte Teilhabe sichern

Eine wichtige Motivation für die Organisation von Projekten mit jungen Menschen ist, dass sie einen Mehrwert daraus ziehen und selbstbestimmt teilhaben können. Menschen mit Behinderung wird diese selbstbestimmte Teilhabe jedoch häufig genommen, weil sie nicht selbst entscheiden dürfen, woran sie teilnehmen möchten. Ausgrenzung erfahren sie über nicht barrierefreie Rahmenbedingungen, aber auch durch Bevormundung und ein Aufzwingen von Dingen.

Um wirksame Beteiligung für junge Menschen mit Behinderung zu erreichen, muss man sie als Expert:innen in eigener Sache ernstnehmen. Das heißt, als Projektbegleiter:in muss man ihnen zuhören, wenn sie ihre Bedarfe ausdrücken. Außerdem sollte man auf Methoden setzen, die für alle funktionieren und bestehende dahingehend anpassen. Wie können beispielsweise Spiele so gestaltet werden, dass sie allen Spaß bereiten?

Einen entscheidenden Beitrag zur selbstbestimmten Teilhabe können auch Rückzugs- und Austauschräume liefern. Dort haben alle Kinder und Jugendliche die Möglichkeit, sich in einem geschützten Raum in Kleingruppen über ihre persönlichen Erfahrungen auszutauschen und sich gegenseitig zu bestärken. Wichtig sind auch ausreichend Unterstützungsangebote: Nicht alle Kinder und Jugendlichen werden von Assistenzkräften begleitet, weil sie darauf häufig kein Recht haben oder es zu wenig Fachpersonal gibt. Daher werden sie oft von Familienmitgliedern unterstützte Dabei sollten sie selbst entscheiden können, ob z. B.   Freunde mitkommen oder die Organisation eine Assistenz stellt. Darüber hinaus ist es wichtig, Angebote und Dokumente in Leichter Sprache und, falls möglich, auch in Gebärdensprache und/oder anderen Sprachen bereitzustellen.

 

5. Iterative Prozesse und Feedback

Eine offene Feedbackkultur ist im Rahmen von Projekten generell wünschenswert – im Kontext von Inklusion und inklusiven Projekten ist sie aber umso wichtiger. Essenziell ist dabei, dass die Zielgruppe immer an erster Stelle steht: Wenn Projekte für die Zielgruppe nicht funktionieren, müssen sie umgestaltet werden. Es muss unbedingt Raum geschaffen werden für kontinuierliches Feedback innerhalb von Projekten, Angeboten oder Veranstaltungen. Inklusive Projekte brauchen auch eine gewisse Flexibilität: Wenn die Zielgruppe Feedback gibt, sollte es eine realistische Möglichkeit geben, Dinge zu verändern. Im Endeffekt geht es darum, dass wir wirksam mit Kindern und Jugendlichen ins Gespräch kommen und uns für eine gleichberechtigte Demokratie stark machen. 

Fazit

Projekte inklusiv zu denken, lohnt sich immer. Inklusive Kinder- und Jugendbeteiligung trägt dazu bei, dass alle jungen Menschen die Chance haben, ihre Fähigkeiten zu entfalten, ihre Interessen zu verfolgen und ihre Persönlichkeit zu entwickeln. Durch die Einbeziehung unterschiedlicher Perspektiven und Bedürfnisse entstehen vielfältige Ideen und Lösungsansätze, die dazu beitragen, eine gerechtere Gesellschaft zu gestalten.

Mehr zum Thema erfahren Sie im Impulsvortrag „Zugänge und Methoden inklusiver Beteiligung“ von Lena Groh-Trautmann, Servicestelle Jugendbeteiligung e.V.:

 Am 10. Mai 2023 findet das Fortbildungsangebot.„Haltung geht raus - Methoden inklusiver Beteiligung“ mit vier Workshops statt:
 

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