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Von Fremdbestimmung bis Selbstverwaltung: Die Stufen der Beteiligung als Handlungsorientierung

28.03.2023

Ein Mensch läuft eine bunte Treppe hinauf

© Shutterstock/MemoryMan

Mitreden, mitgestalten, teilhaben: Die Projekte im Zukunftspaket sollen Kindern und Jugendlichen ermöglichen, ihr Umfeld aktiv mitzugestalten. Aber welche Formen der Partizipation und Teilhabe gibt es eigentlich? Und welche Faktoren sollten Akteur:innen von Kommunen und Trägern berücksichtigen?

Formen der Partizipation und Teilhabe unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Qualität und Wirkung. Eine Orientierungshilfe bieten die 9 Stufen der Beteiligung nach Richard Schröder (1995), dessen Modell sich an Roger Hart (1992) und Wolfgang Gernert (1993) orientiert. 

Das Stufenmodell reicht von der niedrigsten Stufe, der Fremdbestimmung, bis zur höchsten Stufe, der Selbstverwaltung. Der Autor versteht die Stufen allerdings eher als Grade der Partizipation – es gibt keine „beste“ oder erstrebenswerteste Form der Beteiligung. Es geht darum, kontextabhängig gute Beteiligungssettings zu entwickeln und in diesem Sinne soll das Stufenmodell Erwachsenen Orientierung geben und aufzeigen, wie sehr Kinder- und Jugendgruppen beispielsweise in verschiedenen Projektphasen mitbestimmen können

Die 9 Stufen der Beteiligung

  1. Fremdbestimmung: Nicht Beteiligung, sondern Manipulation: Sowohl Inhalte als auch Arbeitsformen und Ergebnisse eines Projektes sind hier fremd definiert. „Beteiligte“ Kinder und Jugendliche haben keine Kenntnisse der Ziele und verstehen das Projekt selbst nicht.
    Beispiel: Plakate auf einer Demonstration tragen
  2. Dekoration: Kinder und Jugendliche wirken auf einer Veranstaltung mit, ohne genau zu wissen, warum sie dies tun oder worum es eigentlich geht.
    Beispiel: Singen oder Vortanzen auf einer Erwachsenenveranstaltung
  3. Alibi-Teilnahme: Kinder und Jugendliche nehmen an Konferenzen teil, haben aber nur scheinbar eine Stimme mit Wirkung. Die Kinder und Jugendlichen entscheiden jedoch selbst, ob sie das Angebot wahrnehmen oder nicht.
    Beispiel: Hierunter können Vereinsveranstaltungen, Stadtteilgremien, aber auch Kinderparlamente fallen.
  4. Teilhabe: Kinder und Jugendliche können ein gewisses sporadisches Engagement der Beteiligung zeigen.
    Beispiel: In einer Gruppenstunde haben Kinder das Gefühl, generell Kritik äußern zu dürfen.
  5. Zugewiesen, aber informiert: Ein Projekt ist von Erwachsenen vorbereitet, die Kinder und Jugendlichen sind jedoch gut informiert, verstehen, worum es geht, und wissen, was sie bewirken wollen.
    Beispiel: Schulprojekte zu unterschiedlichen Themen
  6. Mitwirkung: Indirekte Einflussnahme durch Interviews oder Fragebögen: Bei der konkreten Planung und Realisation einer Maßnahme werden Kinder und Jugendliche angehört oder befragt, sie haben jedoch keine Entscheidungskraft.
    Beispiel: Projekte kommunaler Stadtteilentwicklung
  7. Mitbestimmung: Kinder und Jugendliche haben ein Beteiligungsrecht. Sie werden tatsächlich bei Entscheidungen einbezogen. Die Idee des Projektes kommt von Erwachsenen, alle Entscheidungen werden aber gemeinsam und demokratisch mit den Kindern und Jugendlichen getroffen.
    Beispiel: Projekte kommunaler Stadtteilentwicklung mit verankerten Beteiligungsrechten
  8. Selbstbestimmung: Beispielsweise ein Projekt wird von Kindern und Jugendlichen selbst initiiert. Engagierte Erwachsene unterstützen und fördern diese Eigeninitiative. Die Entscheidungen treffen die Kinder und Jugendlichen selbst: Erwachsene werden gegebenenfalls beteiligt und tragen die Entscheidungen mit.
    Beispiel: Junge Menschen haben eine Projektidee und setzen diese selbstständig um
  9. Selbstverwaltung:  Kinder und Jugendliche haben völlige Entscheidungsfreiheit über das Ob und Wie eines Angebotes, handeln aus eigener Motivation und organisieren sich selbst. Entscheidungen teilen sie den Erwachsenen lediglich mit.
    Beispiel: Jugendverband
     

Was bedeutet das Stufenmodell für die Praxis?

Die ersten drei Stufen der Beteiligung (Fremdbestimmung, Dekoration und Alibi-Teilhabe) werden als „Missbrauch“ bezeichnet und lassen sich dem Bereich der Nicht-Partizipation zuordnen. Es gibt aber auch ein Recht, nicht beteiligt zu sein. Um diese Entscheidung treffen zu können, muss die Person aber zumindest die Möglichkeit haben, mitzumachen. D.h. sie muss von dem konkreten Anlass wissen und ggf. eingeladen worden sein. 

Die mittleren Stufen (4 bis 7) sehen wir als zentral an, denn „gute“ Beteiligungsformen zeichnen sich dadurch aus, „dass Kinder und Jugendliche freiwillig, unter Begleitung von Erwachsenen, an einem gemeinsam formulierten und transparenten Ziel mit hoher Verbindlichkeit in überschaubaren Prozessen arbeiten“ (Schröder 1995, 17). Inwieweit sich selbstbestimmte Projekte (Stufen 8 und 9) eignen, hängt von individuellen Maßstäben und Einschätzungen in einzelnen Projekten ab. Zudem geht es darum abzuwägen, wieviel Machtabgabe an die Kinder- und Jugendlichen und damit auch Verantwortungsübernahme durch sie möglich und zumutbar sind. 

An den dargestellten Stufen der Partizipation wird deutlich, wie unterschiedlich Beteiligung verstanden und gelebt werden kann. Natürlich können Projekte nicht immer trennscharf einer Stufe zugeordnet werden – die Übergänge zwischen den Stufen sind fließend. Das Stufenmodell kann keine Klassifizierung an sich vornehmen. Aber es bietet die Möglichkeit, die verschiedenen Partizipationsniveaus und ihre jeweiligen Gestaltungsspielräume zu identifizieren und in der Umsetzung von Beteiligung zu berücksichtigen.

Beteiligungswürfel rückt Beteiligung in den Mittelpunkt

Ein neueres, differenzierteres Modell der Beteiligung stellt der sogenannte „Beteiligungswürfel“ dar, der mit seinen sechs Seiten die verschiedenen Aspekte von Beteiligung in den Mittelpunkt rückt: Die beteiligten Kinder und Jugendlichen, die Themen und Inhalte der Beteiligung, die Methoden der Beteiligung, die institutionellen Kontexte, die Grade der Autonomie sowie die Formen der strukturellen Verankerung. Anhand der Metapher des Würfels kann man sich vorstellen, wie sich diese Aspekte im Innern des Würfels kreuzen – und genau an diesen Schnittstellen entscheiden sich die Qualitätsfragen des jeweiligen Beteiligungsverfahrens.

 

Literaturtipps

Weiterführende Informationen zum Thema Kinder- und Jugendbeteiligung: Qualitätsstandards für Kinder- und Jugendbeteiligung (PDF-Dokument) der Bundesregierung

Mehr Infos zu den Stufen der Beteiligung: 
Schröder, Richard (1995): Kinder reden mit! Beteiligung an Politik, Stadtplanung und Stadtgestaltung, Weinheim: Beltz.

 

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